Reelle Subsumtion und Insubordination im Zeitalter der digitalen Maschinerie. Mit-Untersuchung der Streikenden bei Amazon in Leipzig

Im Sommer 2017 ist ein ausführlicher Artikel zweier Leipziger Autoren in der 187. Ausgabe der sozialwissenschaftlichen Zeitschrift PROKLA erschienen. Leider war dieser online bislang nicht abrufbar. Er wurde von der Redaktion inzwischen verfügbar gemacht (pdf-Datei). Der Titel lautet: Reelle Subsumption und Insubordination im Zeitalter der digitalen Maschinerie. Mit-Untersuchung der Streikenden bei Amazon in Leipzig. Hiermit wollen wir nun den vollständigen Text an dieser Stelle dokumentieren, da die Untersuchenden nicht nur unserer eigenen politischen Arbeit sehr nahestehen, sondern ihre Form der Herangehensweise an die Analyse der Arbeits- und Verwertungsbedingungen im Logistiksektor mittels einer sogenannten conricerca als beispielhaft für die Region gelten dürfte. Wer von weiteren, laufenden oder bereits ausgewerteten Untersuchungen der jüngeren Zeit weiß, melde sich doch bitte bei uns!

Die Ergebnisse dieser Mit-Untersuchung [insgesamt wurden 23 ausgefüllte Fragebögen ausgewertet] sollten das Verständnis des Arbeitsregimes im Fulfillment Center des Leipziger Standorts von Amazon einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich machen und gepaart mit einer ambitionierten Hoffnung eine konkrete Hilfestellung zur Justierung des Arbeitskampfes bieten, der seinerzeit zwischen Amazon und den Streikenden von ver.di (sowie Unterstützer*innen) geführt wurde. Die Auseinandersetzung hält dabei bis heute an und hat somit wenig an Aktualität verloren.

Im Rahmen der Auswertung der Mit-Untersuchung zeigte man anhand der Organisation der Warenlager von Amazon die despotische Dimension von Arbeitsverhältnissen im digitalen Kapitalismus auf: Digitalisierung wird als ein Prozess der Reorganisation des Kapitals verstanden. Die technische Entwicklung der digitalen Maschinerie, die insbesondere auch bei Amazon zum Einsatz kommt, ist demnach kein einfaches, neutrales Mittel einer „voranschreitenden Modernisierung“ sondern immer ein Instrument zur Mehrwertabschöpfung. Damit ist sie stets als Exploitationsmittel der Arbeit zu untersuchen. Die Reorganisation des Kapitals impliziert einen Wandel der Formen von reeller Subsumption der Arbeit unter das Kapital. Populär ist dabei das Bild des Arbeitenden, der nur noch zum sensomotorischen Anhängsel der digitalen Maschinerie wird, die Entscheidungen berechnet, vermittelt und ausspuckt. Die Kolleg*innen haben es mal so formuliert: „Wir sind keine Roboter!

Gegen diese despotischen Formen von Arbeit regt sich jedoch Widerstand – nicht immer offen sichtbar, jedoch mit den Mitteln der Mit-Untersuchung ermittelbar. Diese Insubordination tritt nicht immer politisch oder organisiert auf. Unabhängig davon, ob es darum geht das Pensum zu drücken, die eigenen Pausenzeiten zu verlängern oder der ständigen Kontrolle/Überwachung zu entgehen: Spontanes Handeln der Arbeitenden verdichtet sich oftmals zu insubordinativen Strategien, um sich dem Druck der reellen Subsumption zumindest ein Stück weit zu entziehen. Doch die Untersuchenden haben in Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen auch nach möglichen politischen Ausdrucksformen gesucht und wollten einen kollektiven Lernprozess innerhalb der Streikbelegschaft anstoßen. Selbstkritisch sei an dieser Stelle angemerkt, dass es den Untersuchenden nicht immer gelungen ist die eigenen Ansprüche der Mit-Untersuchung (Überwindung der Trennung von Forschenden/Beforschten und kollektive Weiterentwicklung der Kampfformen) konsequent einzulösen.