Übersetzung: Affinität und Divergenz hinsichtlich der Blockade des Hamburger Hafens zwischen umsGanze und uns [Berlin Migrant Strikers]

Der folgende Text wurde von uns in relativ kurzer Zeit übersetzt und erschien ursprünglich als Reaktion auf einen Debattenbeitrag von uns mit dem Titel Warum denn bloß ein social Warnstreik? Dieser erschien zunächst am 21. Juni 2017 im Lower Class Magazine. In Absprache mit den Berlin Migrant Strikers, die ihren englischsprachigen Text „Affinity and divergence between Ums Ganze and us, towards the block of the port of Hamburg“ auf dem Portal connessioni precarie als Antwort veröffentlicht hatten (kurz zuvor konnte man den Text bereits auf der Facebook-Seite der BMS lesen), schlugen wir einen Aufschlag für eine deutsche Übersetzung ihres Textes vor, um über den Inhalt im Gespräch zu bleiben, die Debatte für einen größeren Personenkreis zu öffnen und die Diskussion über das Konzept des Social Strikes fortzuführen. Der Artikel ist nun fertig übersetzt worden und kann an dieser Stelle nachgelesen werden.

Affinität und Divergenz hinsichtlich der Blockade des Hamburger Hafens zwischen umsGanze und uns

 

Mit Interesse haben wir die ausführliche und tief gehende Intervention unserer Genoss*innen der „Amici della Conricerca“ aus Leipzig zur Blockade des Hamburger Hafens beim bevorstehenden G20-Gipfel gelesen. Wir müssen zunächst hervorheben, dass diese Antwort aufgrund von Übersetzung und Zeit (wir müssen innerhalb weniger Tage antworten) daran scheitert, die vielen Beobachtungen, Stichpunkte und Fragen zu formulieren, die wir gerne äußern würden. Nichtsdestotrotz ist das Timing des „Gegenprotests“, welches auf die Debatte drückt und eben jene oftmals oberflächlich oder schwer verständlich werden lässt, genau die Beschränkung, über die wir gemeinsam nachdenken müssen. Wir werden versuchen diese kurze Antwort zu gliedern, indem wir den aufgestellten Haupteinwänden aus dem Text der Leipziger Genoss*innen folgen.

 

Die erste Kritik betrifft/verweist auf den unmöglichen Zusammenhang zwischen dem Diskurs über den Social Strike und dem G20. Wir verfolgen die transnationale Plattform für den Transnational Social Strike seit ihrem Anfang und wir wissen, dass es beim letzten Treffen in Ljubljana eine lebhafte und interessante Diskussion bezügliches dieses Punktes gab. Wir denken, dass der erste Unterschied zwischen Social Strike und dem Gegen-Gipfel derjenige ist, dass das erste ein sozialer Prozess ist, viel gegliederter als ein begrenzter Moment eines politischen Konflikts. Es ist ein Prozess, der Diskussionen, Verbindungen und Alltagspraxen schafft. Anders als der G20-Gipfel (und der Gegen-Gipfel) zielt der Social Strike darauf ab, die Produktion effektiv anzugreifen, in die in neoliberalen Gesellschaften die Gesamtheit der Lebenszeit sowie die Körper der Individuen investiert werden. Folglich kann er nicht als beschränkt auf ein besonderes Event an einem bestimmten Ort betrachtet werden. Zeitgleich könnte sich dieser Aspekt des Social Strikes, den wir als eine Stärke erachten, als eine Begrenztheit des Diskurses über den Social Strike herausstellen. Da er versucht sich selbst als alternativen strategischen Horizont anzubieten, ist der Social Strike dazu gezwungen sich selbst mit einer zunehmend Aufsehen erregenden, hastigen und vermittelten politischen Szene zu konfrontieren, die typisch für spätkapitalistischen Gesellschaften in ihrer autoritären Wende ist. Ein politisches Alphabet wurde der radikalen Linken ebenfalls auferlegt, welches zum Präferieren von Führung und Vertretung gegenüber mühsamen Prozessen von Sozialisierung und Selbst-Organisation führt. Das Bekanntmachen des Social Strike-Konzepts innerhalb der begrenzten Zeitdauer eines Tages, wenn die ganze Welt auf Hamburg schauen wird, ist offensichtlich ein Widerspruch in sich. Aber die Lösung dieses Widerspruchs, sodass es nicht zu einer Doppeldeutigkeit kommt, hängt von uns ab. Um darin erfolgreich zu sein, ist das Klären unserer Ziele wesentlich und grundlegend. Vor der Bühne einer militarisierten Stadt, vor zwanzig „Chefs“, mit dem Auge der Welt darauf, diese Bühne zu verweigern und sich weg von der roten Zone zu bewegen; das ist eine politische Handlung, die eine Diskontinuität mit der Vergangenheit markiert. Diese Handlung als „Social Strike“, „City Strike“ oder „Blockade der Bewegung der Logistik“ zu bezeichnen, meint einfach von diesem vermittelten Podium zu sagen: „Verehrte Damen und Herren, lasst uns aus diesem Theater herauskommen! Lasst uns einen Prozess des Kampfes aufbauen, damit die Macht der Produktion wieder in unsere Hände gelangt. Don‘t fight the player, fight the game!“ UmsGanzes Verdienst war es eine neue Perspektive in einem ritualisierten Kontext zu eröffnen. Mit anderen Worten: Wenn der G20-Gipfel symbolisch ist, wird der G20-Protest ebenfalls symbolisch sein. Aus unserer Sicht ist der alleinige Nutzen dieses Moments auf einen nicht-symbolischen Plan als strategischen Horizont hinzuweisen: Den Social Strike, die Blockade des Kapitalflusses.

 

Wie es die „Amici della Conricerca“ sagen: sofern es umsGanze misslungen ist zu organizen, sich zu multiplizieren und angreifen, sich als Vorreiter zu verhalten, kann dies nur die Begrenztheit der „G20-Event“-Form bestätigen. Die Notwendigkeit sich selbst an eine Zeit, ein Datum, einen Ort anpassen zu müssen, die nicht zu einer Subjektivität gehören, die die eigene Rolle im Produktionsprozess hinterfragt, sondern zu 20 Staatsoberhäuptern und ihrer Totenliturgie der Macht, ist eine der großen Schranken dieses Events; von 2001 an. Der politische Konflikt in diesen Fällen kann nur in der Form eines symbolischen Statements existieren, das in gewisser Weise irgendwie ähnlich und entgegengesetzt zu dem ist, was vom repressiven Apparat festgelegt wurde. Wir glauben, dass der Verdienst jener, die die Regie über die geplante Blockade des Hafens übernommen haben darin besteht, ebenfalls in der Anerkennung/Heraushebung dieser Schwierigkeiten eine Konfliktpraxis aufzubauen, um die Schranken der Gipfel/Gegen-Gipfeldynamik aufzuzeigen. Aus diesem Grund sehen wir in der Aktion im Hafen eine mögliche Bruchstelle: ein Blick in eine andere Richtung, einer der über den Kapitalfluss spricht; und über die Rolle der Arbeitskraft. Dieser Vorschlag überzeugt uns, weil er die Grundlage von direkten Forderungen an den Souverän mit dem damit verbunden Risiko nach etwas zu verlangen, aufgibt, das wir als „Macht“ verachten. Zudem überzeugt er uns, weil er die Charakteristik des Streiks (die Blockade der Produktion), eines „sozialen Streiks“ (innerhalb des realen Prozesses der Produktion und Gewinnung von Reichtum) ausdrückt.

 

Der dritte Kritikpunkt betrifft die Wahl des Ziels. Die Blockade des Hafens ist in der Tat komplett verschieden von der Betriebsführung durch die Hafenarbeiter*innen selbst. Jedoch sind Streik und Kommunismus zwei verschiedene Dinge. Leider leben wir in keiner Gesellschaft, die frei von Ausbeutung ist. Leider haben wir noch immer nicht die Macht, um die Produktion unabhängig von der kapitalistischen Produktionsweise zu bewältigen. Außerdem ist der Streik eine Form des Kampfes, der mehr als alles andere in der Geschichte der Arbeiter*innenbewegung die Macht durch Ungehorsam und das Ausbrechen aus dem Produktionsprozess der subordinierten Subjektivität gegeben hat. Sogar in dem Fall eines unmöglichen Streiks, zum Beispiel aufgrund einer Vereinbarung zwischen Streikbrecher*innen und Kapitalist*in, oder im Rahmen freiheitsfeindlicher Gesetzgebung, die dieses Recht verboten hat, war das „Arbeiter*innenwissen“ dazu in der Lage zu handeln, genau wissend wo man den Schraubenschlüssel hat hineinwerfen müssen, um eine ganze Fabrik zum Stillstand zu bringen und dann den Streik als unausweichlich zu verhängen. In Übereinstimmung mit der Lesart der Kapitalbewegungen ist die Logistik heutzutage der ökonomische Sektor, wo das Kapital am meisten konzentriert, jedoch auch verwundbarer ist. Es ist genau die Stelle des Fließbands, wo man den Schraubenschlüssel hineinwerfen muss. Daher ist das Ziel die Produktion zu blockieren. Die Logistik bewegt sich erheblich weg von der Zentralität des Kapitals hin zur Eigenständigkeit, von Containerschiffen zur Prekarität der Amazon- und Deliveroo-Arbeiter*innen oder hin zu den Konsument*innen. Wenn man eine solche Hauptverkehrsader wie den Hamburger Hafen blockiert, die so zentral in diesem System ist, bedeutet das auf der einen Seite die Komplexität der momentanen Produktionsweise zu verstehen, auf der anderen Seite aber auch den neu-autoritären evolutionären Prozess des Kapitalismus zu denunzieren.

 

Darüber hinaus bezieht sich der Text eindeutig auf eine strenge Trennung zwischen innerbetrieblichen Arbeiter*innen und uns, den „Aktivist*innen“. Wir wollen weder die Formen der Gewerkschaftsbeteiligung in solchen Kämpfen, noch die Positionen verschiedener Gewerkschaften von Hafenarbeiter*innen von Göteborg bis Auckland nachzeichnen, geschweige denn darin scheitern eine verspätete taktische Reflexion diesbezüglich zu liefern. Es wäre ebenfalls ein Avantgarde-Bestreben. Bezüglich dieses bestimmten Aspekts wollen wir einen anderen Ansatz vorschlagen: das, was uns in den Hamburger Hafen bringt. Wir haben uns oft gefragt, wie wir daran teilnehmen werden. Wir haben uns dazu entschieden, wie es die feministische Bewegung uns gelehrt hat, die Reflexion von unserer eigenen Subjektivität aus zu beginnen. Wir sind ein Kollektiv italienischer Migrant*innen in Berlin. Als Kollektiv haben wir eine politische Lesart der gegenwärtigen Phase des Kapitalismus und seiner Mechanismen der Ausbeutung und Herrschaft. Wir beziehen täglich Stellung gegenüber Prekarität, Sozialhilfe und Repression. Folglich hätten wir uns natürlich einfach dazu entschließen können bei der Aktion am Hafen einfach mitzumachen, indem wir den Aufruf und die politische Analyse von umsGanze teilen. Dennoch war dies nicht genug, denn es hätte die Reproduktion der Mechanismen von Eigenständigkeit zwischen politisch und sozial, zwischen öffentlich und privat zu reproduzieren, was wiederum nichts mehr ist als die Reproduktion der G20-Gipfel-Erzählung. Daher haben wir uns dazu entschieden uns, unsere Körper, unsere Sehnsüchte, unsere Geschichten, unsere Lebensformen in die Logistik hineinzudeuten. Innerhalb der Maschine des Kapitalismus. Was haben wir vom Hamburger Hafen? Was passiert von dort aus – direkt und indirekt – das mit uns, Migrant*innen, prekär und ausgebeutet, verbunden ist. Also haben wir damit angefangen die Bewegungen der Migrant*innen auch als Bewegungen des Kapitals, als Bewegungen von Menschen, namentlich von Arbeitskräften zu lesen. Daher haben wir alle Kernthemen des G20-Gipfels als ein dichtes Netzwerk von Bewegungen und Knotenpunkten gelesen, die in der Lage sind die Arbeitskraft zu produzieren und zu reproduzieren: Die Abkommen zwischen Mächten um ausländische Immigration zu verwalten, Kriege und der Klimawandel, die eine Migration verursachen, die Staatsschuldenkrise in Südeuropa und Austerität, Grenzen, Gesetze, die den Arbeitsmarkt hinsichtlich Geflüchteten-, Migrant*innen-, Ausländer*innen- oder Einheimischen-Status differenzieren, Sozialstaatsgesetze, die „antisoziales“ Verhalten aufspüren. Außerdem sind wir durchs Lesen der Klassenzusammensetzung in der Logistik (von Amazon-Zentren hin zur norditalienischen Logistik, von Deliveroo und Foodora Arbeiter*innen hin zu französischen Postämtern) dazu in der Lage gewesen zu sehen, zu welchem Ausmaß hin die Arbeitskraft durch das „Migrationsmanagement / Logistik“, über das die „G20“ sprechen, größtenteils in dem gleichen Wirtschaftsbereich der Logistik angewandt wird. Diese zweifache Lesart, Logistik der Migration (Migrationserzeugung und Migrationsaussortierung) und migrantische Arbeitskraft im Logistiksektor, machte das Ziel des Hafens zur schlüssigsten Wahl für uns als eine soziale Subjektivität. Obendrein bestätigte uns diese duale Lesart die Notwendigkeit eine falsche Arbeiter*in – Aktivist*in Zweiteilung zu überwinden, was übrigens genau die Herausforderung des Social Strikes ist.

 

Mit diesem kollektiven Beitrag hoffen wir nicht nur die Diskussion weiter anzuregen, sondern auch unsere Gründe und Form unserer Beteiligung in Hamburg zu verdeutlichen. Der Prozess hin zum Social Strike ist langsam und schwierig, bestehend aus fortlaufenden Annäherungen und wiederholten Überprüfungen. Wir denken, dass der lange Artikel der Leipziger Genoss*innen eine große Chance ist, die Diskussion zu öffnen und ausführlich in neue Strategien und Praktiken für die radikale Linke zu gehen. Mittels der Hafenblockade glauben wir, dass wir auf einen Weg für ein neues, mögliches politisches Experimentieren zeigen, das sogar noch weiter als der Gipfel in Hamburg gehen wird. Lasst uns daran denken, was in Frankreich passiert. In diesen Tagen ist ein politisches Bündnis, genannt die „Front social“, in Opposition gegen die neoliberalen Grundsätze von Macron entstanden. Dieses Bündnis versammelt Kollektive und Gewerkschaften, Individuen und politische Bewegungen. Es ist ein Bündnis, das Solidarität, gegenseitige Hilfe, Stadtblockaden und die Entstehung von alternativen Formen des Lebens und der Wirtschaft als Formen des radikalen und unabhängigen Kampfes erlebt. Wahrscheinlich ist es ein Prozess, der länger existieren wird als der Zufall eines einzelnen Tages des Kampfes. Aber um diese Anregung auf einem europäischen Level zu folgen ist es gut, sich zu treffen, das grundlegende „Arbeiter*innenwissen“ zu vertiefen, zu erweitern und im Streik effektiv werden zu lassen.

 

Dies ist der Grund warum wir ein einen Vorschlag machen wollen, der beim letzten Transnational Social Strike Meeting in Ljubljana diskutiert worden ist. Ein Vorschlag, der durch den widersprüchlichen Abschnitt der G20 durchgeht, um hinter Hamburg zu blicken. Wir würden gerne ein Transnational Social Strike Treffen in Berlin im kommenden Herbst einberufen; ein Treffen auf dem wir Kämpfe, Praktiken, Bündnisse und Strategien mit allen diskutieren können. Ein Moment um uns selbst zu fragen, wie wir den Weg des Social Strikes weitergehen können, aber auch wie wir unsere politische Aktivität und unser Alltagsleben entwirren können. Doch jetzt ist der Moment, um uns gegenseitig auf den Straßen zu treffen, am Hamburger Hafen, aber auch vor den Amazon-Centern oder etwa vor einem Arbeitsamt in Berlin.

 

Berlin Migrant Strikers

01.07.2017